6.9.2021 Tag 174 Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin
In der Nacht wache ich auf, und meine rufende Rothirsche zu hören, bin mir aber nicht ganz sicher. Aber als ich dann zum Sonnenaufgang losgehe, ist schnell klar, in der Schorfheide hat die Paarungszeit des Rotwilds, die in der Jägersprache Brunft genannt wird, begonnen und die Hirsche brüllen eindrucksvoll in den Morgen zum Teil im Konzert mit trompetenden Kranichen, sehr schön!
Ich folge meist frisch gemähten Graswegen, offenbar um die Zugänglichkeit während der Brunft zu verbessern. Es gibt auch eine ganze Reihe kleiner Wildwiesen mit vielen Ansitzeinrichtungen. Wie bereits beschrieben hat die Jagd in der Schorfheide jahrhundertelang die Hauptrolle gespielt, heute ist dagegen wichtig, dass der dringend notwendige Waldumbau nicht durch zu hohe Wildbestände gefährdet wird.
In diesem Teil der Schorfheide gibt es 1300 Alteichen, die bis zu 400 Jahre alt sind und häufig noch aus der Zeit stammen, als der Wald viel lichter als heute war, bis dann die großen Kiefernaufforstungen eingesetzt haben.
Vor dem ehemaligen Jagdschloss Hubertusstock lege ich an der stärksten Eiche mit über 5 Meter Stammunfang und 400 Jahren eine längere Pause ein. Leider gelingt es auch hier nicht den Blogpost von gestern abzusetzen, der Mobilfunkempfang in der Schorfheide ist ziemlich schlecht…
Durch abwechslungsreichen Wald gelange ich zur Silke Buche, die ein Alter von 300 Jahren erreicht hat, leider aber vor kurzem fäulebedingt auseinandergbrochen ist. Bald danach schlage ich einen Pfad zwischen den beiden Pinnowseen ein. Leider ergibt sich nur an einer Stelle eine Aussicht.
Rechtzeitig zu meinem Termin um 13 Uhr gelange ich ans Jagdhaus Wildfang, das ich noch als Naturwachtstützpunkt kenne, aber heute an Marian Ruschenski vermietet ist, der hier im Staatswald einen Jagderlaubnisschein hat, wie ich von ihm erfahre, als ich mich erkundige, ob dies wirklich der Treffpunkt ist. Aber tatsächlich erscheint dann pünktlich Dr. Martin Flade, der Leiter des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin.
Das etwa 130.000 ha große Reservat, wurde, wie viele andere Schutzgebiete Ostdeutschlands auch, in der letzten Sitzung der damaligen Volkskammer 1990 unmittelbar vor der Wiedervereinigung beschlossen. Daher rührt auch, dass die Reservatsverwaltung ungewöhnlich viel Einfluss auf die Bewirtschaftung des Waldes hat, die im Einvernehmen mit ihr durchgeführt werden muss. So gelang es einen Rückegassenabstand von 40 Metern als verbindlich festzuschreiben und ursprünglich hier nicht vorkommende Baumarten dürfen nicht angebaut werden!
Etwa 70 % der Waldfläche im Reservat sind öffentlicher Wald, es gibt aber auch 20 % Privatwald und 7 % der Stiftungen und Verbänden gehört.
Der Privatwald entstand durch die Privatisierungen nach 1990 und gehört heute überwiegend den ehemaligen adeligen Besitzern, es gibt aber auch große Flächen, die von vermögenden Neueigentümern erworben wurden, oft wohl in erster Linie aufgrund von jagdlichen Interessen. Wie war das noch mit der großen Bedeutung der Jagd für die Herrschenden zu allen Zeiten…
Nach 2000 beschloss die damalige Landesregierung, den Wald in Schutzgebieten unentgeltlich an Naturschutzstiftungen abzugeben. So wurde beispielsweise die Kernfläche Grumsin von einem dazu eingerichteten Förderverein übernommen, was durchaus positiv ist. Allerdings gab es auch Fälle, wo private Eigentümer kurzerhand eine Stiftung gründeten, um benachbarte Flächen in ihren Einfluss zu überführen. Natürlich formal alles korrekt, aber selbst Lieschen Müller kommt wohl schnell auf die Idee, das da die Möglichkeit nahe liegt, dass bei solchen Konstellationen nicht alles mit rechten Dingen zugeht…
Ganz krass wurde es, als in einer Kernzone, die neu ausgewiesen werden sollte, und schon als solche sichergestellt war, von einer „Stiftung“ kurz vor der tatsächlichen Unterschutzstellung noch rasch 600 Alteichen gefällt wurden. Dr. Flade, der schon seit Anfang der 90’ er Jahre in der Naturschutzverwaltung des Landes tätig war, brandmarkte das als Unding und bekam daraufhin jahrelang größte Probleme, die, nachdem er 2013 Leiter des Biosphärenreservats geworden war, zu seiner temporären Versetzung führten. In Gerichtsverfahren musste er sich mühevoll seinen Weg zurück in die Reservatsleitung einklagen.
Die Fällung der Eichen wurde dann mit einem „Gutachten“ als naturschutzfachlich korrekt bezeichnet, so dass dieser haarsträubende Vorgang tatsächlich für die „Stiftung“ ohne Folgen blieb.
Das alles ist mittlerweile zwar schon eine Zeit her, aber ich bin davon überzeugt, dass die Vorgänge um die Waldprivatisierung, gerade in Schutzgebieten, ein schöner Stoff für einen Enthüllungsjournalisten wären…
Hier kann ich das Thema natürlich nur kurz anreissen.
Wie nicht anders zu erwarten, wollten die privaten Großgrundbesitzer auch das Verbot des Anbaus nichteinheimischer Baumarten im Biosphärenreservat kippen, dem wurde aber letztinstanzlich von den Gerichten nicht statt gegeben.
Neben dem Naturschutz ist auch die Forschung ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld im Biosphärenreservat. Von den 10 am besten erhaltenen Tieflandbuchenwäldern der Welt liegen 3 im Reservatsbereich, was einen Forschungsschwerpunkt hierzu nahe legt. So wurde versucht Zusammenhänge zwischen unterschiedlicher Bewirtschaftung und naturschutzfachlichem Wert herzustellen. Dabei stellte sich erwartbar heraus, dass die seit langem unbewirtschafteten Flächen wie der Faule Ort, in ihrem Wert aufgrund von Totholzmenge, Flächenstruktur und Baumalter im Wirtschaftswald nicht erreicht werden können. Völlig unbewirtschaftete Flächen sind also tatsächlich in gewisssem Umfang unverzichtbar, wenn man die ganze Artenpalette langfristig erhalten will. Allerdings hat auch die Art der Bewirtschaftung ganz erstaunliche, schon kurzfristig wirksame Effekte. Zwei Sachverhalte traten dabei besonders hervor: Zum Einen ist eine Fläche für die Artenvielfalt umso wertvoller, je inhomogener sie ist. Da die verschiedenen Arten ganz unterschiedliche Ansprüche an Besonnung oder Beschattung u.s.w. haben. In Naturwäldern wie dem Faulen Ort ist dieses Mosaik der unterschiedlichen Bedingungen extrem kleinräumig ausgeprägt, aber auch im Wirtschaftswald lässt sich einiges in der Richtung erreichen, wenn man darauf achtet, Homogenisierungen zu vermeiden, die insbesondere leicht bei zu hohen Holzentnahmemassen entstehen.
Der zweite Aspekt ist, dass man ganz gezielt darauf achten muss, sogenannte „Mikrohabitate“ zu erhalten. Das ist eine ganze Fülle von Kleinstrukturen wie Pilzkonsolen, Blitzrinnen, Mulmtaschen oder auch kleine, wassergefüllte Höhlungen. Aus dem Forschungsprojekt heraus entstand das „Praxishandbuch Naturschutz im Buchenwald“, in dem diese Mikrohabitate und ihre Bewohner in hervorragender Weise beschrieben werden.
Biosphärenreservate sollen Modellregionen sein, in der Vorbilder für die Bewirtschaftung der Landflächen auch außerhalb von Schutzgebieten erarbeitet werden sollen. Im Fall der Buchenwälder ist das hervorragend gelungen, denn seit 2015 sind die Vorgaben aus dem genannten Praxishandbuch im Landeswald Brandenburgs verbindlich!
Damit diese auch tatsächlich im forstlichen Alltag beachtet werden, hat man sogenannte „Martelloskope“ eingerichtet, dass sind Probeflächen in denen jeder Baum sowohl auf seinen wirtschaftlichen, als auch seinen naturschutzfachlichen Wert hin eingestuft wurde. Bei Probeauszeichnungen kann man nun ganz konkret erfahren, wie sich Entnahmeentscheidungen einzelner Bäume sowohl wirtschaftlich als auch naturschutzfachlich auswirken.
3 % der Fläche des Biosphärenreservats sind aus der Nutzung genommen worden. Dieser Anteil wird sich allerdings demnächst stark erhöhen. Zum Einen sollen 10 % der gesamten Staatswaldflläche Brandenburgs nicht mehr forstwirtschaftllich genutzt werden, bisher sind es nur 4 %…
Im Bereich des Biosphärenreservates wurden im Süden in der Oberförsterei Chorin Flächen identifiziert, die dazu gut geeignet sind und einen naturschutzfachlichen Mehrwert erbringen würden. Zum Anderen nimmt ein privater Eigentümer seinen ganzen über 400 Hektar großen Besitz für 20 Jahre aus der Nutzung, was ihm aus Mitteln des Vertragsnaturschutzes vom Land vergütet wird. Es hat schon eine gewisse Ironie, das Flächen erst privatisiert und dann vom Land in gewisser Weise der Kaufpreis auf diese Weise zurückerstattet wird. Die Jagd kann natürlich vom Eigentümer weiter ausgeübt werden…
Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt im Biosphärenreservat ist das Thema Wasser. Es gibt hier immerhin 14.000 ha Fläche auf Moorböden, die in der Vergangenheit zum größten Teil entwässert wurden. Auf 4000 Hektar wurde diese Entwicklung bereits aktiv zurück genommen, aber auf weiteren 6000 Hektar sind Maßnahmen wie das Verschließen der Gräben noch durchzuführen.
Im Zusammenhang mit dem Wasser hat auch der Umbau der reinen Kiefernbestände zum Mischwald mit hoher Laubbaumbeteiligung sehr große Prioriät, da die Wasserspende ins Grundwasser unter Laubbäumen etwa 30 % höher ist. Würde es bei der Kiefer auf großer Fläche bleiben, müsste man in Zukunft das Austrocknen der meisten Feuchtgebiete befürchten. Tatsächlich wurde, wie ich das in der Oberförsterei Reiersdorf ja gesehen habe, schon eine ganze Menge in dieser Richtung gemacht. Aber insbesondere in der zentralen Schorfheide bleibt diesbezüglich noch viel zu tun. Entscheidend für das Gelingen sind nicht zu hohe Wildbestände. Welche Rolle der Wolf dabei spielt ist wohl noch nicht endgültig zu beurteilen. Seit etwa 5 Jahren gibt es drei Wolfsrudel im Bereich des Biosphärenreservats. Dem Raumbedarf der territorialen Tiere nach zu urteilen, wäre Platz für zwei weitere Rudel, so Dr. Flade. Wenn sich diese dann ausschließlich von größerem Wild ernähren würden, könnten sie nach Berechnungen des Biosphärenreservats maximal 5 % der derzeitigen Jagdstrecke fressen. Die Bedeutung wäre demnach nicht sehr hoch.
Das sieht der Jäger Marian Ruschenski mit dem wir uns bei einem Getränk unterhalten aber anders. Er beobachtet
kaum noch Rotwildkälber, dafür öfter einen Wolf. Natürlich kann man schwer beurteilen, ob man solche Beobachtungen verallgemeinern kann, aber zumindest die Ausrottung des Muffelwildes in der Schorfheide geht auf Kosten der großen Prädatoren.
Gegen 17 Uhr verabschieden wir uns und ich laufe weiter nach Groß Schönebeck, wo ich in einer privaten Unterkunft für 20 Euro übernachte. Ich kann sogar eine Küche benutzen!