5.11.2021 Tag 233 Durch den Nationalpark Kellerwald-Edersee
Früh am Morgen sind wir bereits im Licht der Stirnlampen wieder unterwegs. Bald überqueren wir die Staumauer, die nachts in verschiedenen Farben angestrahlt wird.
Oberhalb von Hemfurth gelangen wir dann in den bereits 2004 ausgewiesenen Nationalparkteil und wandern auf schönen, schmalen Pfaden recht steil aufwärts. Der Nationalpark Kellerwald- Edersee ist zwar nicht besonders groß, aber im Gegensatz zu vielen deutschen Nationalparks besteht er zu etwa 80 % aus ursprünglich hier heimischen Buchenwäldern, die noch dazu besonders alt sind. Um die 20 % der Fläche ist mit über 160-jährigen Buchen bestanden. Deutschlandweit sind nur 0,9 % der Buchenbestände so alt!
Allerdings sind die meisten Bäume gar nicht mal so dick, was daran liegt, dass sie auf den nährstoffarmen, trockenen Tonschiefer- und Grauwackeböden hier nur langsam wachsen.
Am Pumpspeicherbecken vorbei, dass der Elektrizitätserzeugung aus dem Edersee dient, wandern wir tiefer in die großen Wälder der Ederhöhen. Die Buche überwiegt hier bei weitem, allerdings gibt es auch Eichen, Eschen und Ahorne. Die meisten Fichtenbestände sind bereits abgestorben und werden wohl meist in Zukunft Buchenwald, es gibt aber auch Flächen, wo sich die Fichte dicht verjüngt hat.
Wir passieren drei Weisergatter, die kaum einen Unterschied zu umliegenden Flächen aufweisen, allerdings gibt es auch Buchen, die vom Rotwild regelrecht bonsaimäßig beschnitten wurden. Weite Bereiche des Nationalparks werden schon seit langem nicht mehr bewirtschaftet. Diese bilden heute den Kern der 2011 ausgewiesenen, 1167 Hektar großen Weltnaturerbefläche. Damit habe ich die letzte der fünf deutschen Flächen des UNESCO Weltnaturerbes „Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas“ passiert.
Am Tannendriesch informieren einige interessante Tafeln über den Nationalpark, der früher von den Fürsten zu Waldeck in erster Linie als Jagdrevier genutzt wurde. Um 1300 wurde versucht, das große Waldgebiet zu besiedeln, die Böden stellten sich allerdings als zu karg heraus, dennoch wurden etliche Flächen lange als Weiden genutzt und werden noch heute von der Nationalparkverwaltung offen gehalten. Daher sind auch lediglich 90 % des Nationalparks Wildnis, nichts desto trotz für Deutschland eine sehr hohe Zahl.
An der Quernstkirche, die 2006 neu erbaut wurde, essen wir Mittag und gelangen bald darauf an das Infozentrum Kellerwalduhr, wo wir mit Norbert Panek verabredet sind. Panek ist Landschaftsplaner und Buchautor. Vor allem seiner Initiative ist es zu verdanken, dass der Nationalpark Kellerwald-Edersee trotz großem Widerstand ausgewiesen wurde. Norbert Panek ist mit der Entwicklung zufrieden, die der Nationalpark genommen hat. So wurde auch die Jagd stark zurück gefahren und ruht in weiten Bereichen komplett.
Wir fahren nach Hundsdorf, wo wir Markus Schönmüller, einen Biologen und Buchenwaldkenner, sowie den Journalisten Matthias Schuldt von der Waldeckischen Landeszeitung treffen. Zusammen sehen wir uns einen großen Waldbereich an, der schirmschlagartig bewirtschaftet wird, so dass die wenigen verbliebenen, großen Bäume auf der Fläche alle ohne den Schutz von Nachbarn frei stehen. Ich gehe auf die große Nachteile dieser Art von Forstwirtschaft ein, sowohl in ökonomischer, vor allem aber auch in ökologischer Hinsicht. Gerade in Zeiten von Dürren ist es absolut notwendig, den Kronenschluss der Buchenbestände nicht zu stark zu unterbrechen um die Bäume nicht zu schwächen und das Waldinnenklima zu erhalten, was für zahlreiche daran angepasste Arten lebensnotwendig ist. Laut einer Untersuchung von Panek ist diese Art der Bewirtschaftung hier leider stark verbreitet, und führt unter anderem zum Rückgang von Totholzbesiedlern wie dem Pilz Ästiger Stachelbart. Geradezu skandalös ist, dass auch in FFH- Gebieten, die explizit dem Schutz des Buchenwaldes dienen, so vorgegangen wird. Ursache dafür ist natürlich nicht der böse Wille der Förster, sondern die oft viel zu hohen Nutzungsvorgaben, die eine naturnahe Wirtschaftsweise, die ich ja in vielen Betrieben gesehen habe, unmöglich machen.
Zur Zeit ist Panek stark engagiert, was die extremen Räumungen der ehemaligen Fichtenflächen im Reinhardswald angeht. Schönmüller, Panek und ich sind einer Meinung, dass der Schutz der Waldböden bislang sträflich vernachlässigt wird.
Nach intensivem Gespräch bringt uns Norbert Panek zurück zur Kellerwalduhr, wo wir uns zunächst unterstellen, als ein stärkeres Schauer nieder geht, dann aber weiter laufen und nach längerer Suche im Fichtenwald unser Tarp aufschlagen.
Ich kann mich noch gut an die Diskussion im Trockenjahr 1959 erinnern, als die Buchen stark vom Schleimfluss befallen waren. Ich hörte als junger Waldläufer der SDW aufmerksam zu, wenn die Förster davon sprachen, dass die Buchenwälder keine Überlebenschance mehr hätten. Sie haben sich geirrt, wie wir heute wissen. Allerdings waren die Bestände der Buchenalthölzer weitgehend geschlossen, was als braunschweigische Dunkelwaldwirtschaft kritisiert wurde. Heute wissen wir, dass die traditionelle Praxis vorsichtiger Nutzungsansätze und -entnahmen richtig war. Ein Durchforstungseingriff auf eine Bestockung bis auf 70% der Kronendachüberschirmung galt als halber Lichtungshieb und wurde kritisiert. Heute wären wir froh, wenn die brutale Abnutzung der alten Buchenwälder im Schirmschlagverfahren der letzten 20 Jahre bei 0.7 Schlussgrad gestoppt worden wären. Der ökologische und wirtschaftliche Schaden wird sich bis ins 22. Jahrhundert auswirken. Was der kommenden Generation zusteht, haben wir ihr heute genommen. Nennt man das nicht Raubbau?
Es ist sehr wichtig, wenn jemand mit deiner Erfahrung auf diese Dinge aufmerksam macht! Ich sehe es auch so, dass an sehr vielen Orten leider sehr schlecht mit unserem Naturerbe der alten Buchenwälder umgegangen wurde und wird. Was da noch unter nachhaltiger Forstwirtschaft verstanden wird, ist es oft nicht, wenn man nicht rein massenorientierte Maßstäbe anlegt. Es wird höchste Zeit, dass sich da was ändert, und auch die Förster den Wald viel mehr als Ökosystem verstehen als bisher.