26.04.2021 Tag 58 Naturgemäße Waldwirtschaft auf dem Großen Grassert
Die Waldesruhe in der Nacht stört lediglich das Rauschen des nahegelegenen Windrads. Morgens habe ich noch recht viel Zeit, daher genieße ich es, wie die Sonne die frischen Buchenblätter langsam zum Leuchten bringt.
Um 9 Uhr treffe ich mich mit Dr. Hermann Rodenkirchen an der nahegelegenen Grassert Hütte. Herr Rodenkirchen war Professor für Bodenkunde an der forstwissenschaftlichen Fakultät in München, und bewirtschaftet den 228 Hektar großen Wald hier seit 1994. Vor dieser Zeit gab es noch Kahlschläge, die Bestände waren ziemlich dunkel und es gab fast keine Naturverjüngung. Zum Zeitpunkt der Übernahme wurden die Kahl- und Saumhiebe eingestellt, statt dessen wurde der Wald in 5- jährigen Intervallen intensiv durchforstet und der Rehwildabschuss von 6 Stück/ 100 ha auf 12-15 erhöht. Als Folge dieser Maßnahmen verbesserte sich die Qualität der Bestände, es kam Licht an den Boden und überall stellte sich Naturverjüngung ein, selbst der für den Betrieb sehr wichtigen Tanne. Während in den von mir besuchten Plenterwäldern die Buche weitgehend fehlt, sind die Mischbestände aus Buche und Weisstanne hier sehr eindrucksvoll. Herr Dr. Rodenkirchen bestätigt, dass auch er eine Beimischung der Buche im Plenterwald aus Gründen der Bodenverbesserung für sehr wichtig hält. Die Buntsandsteinböden hier sind relativ nährstoffarm und wurden durch Jahrhunderte lange Übernutzung weiter geschädigt, was sich beispielsweise in einem Magnesiummangel darstelllt, wie Untersuchungen ergaben. Daher wurde die Brennholznutzung durch Kleinselbstwerber stark eingeschränkt und unterbleibt im Bestand heute völlig, da gerade das feinere Astmaterial sehr nährstoffreich ist, und zur Nährstoffversorgung des Bodens immens wichtig.
Für ebenso wichtig hält der Bodenkunde Professor, die Befahrung des Waldbodens so weit wie möglich einzuschränken. Dazu wurde eine Netz von Rückegassen im 40 Meter Abstand angelegt und digitalisiert, so dass dauerhaft darauf zurückgegriffen werden kann.
In gewissem Umfang werden Einzelbäume aus der Nutzung genommen, dieses wird Herr Dr. Rodenkirchen mit der jetzt möglichen staatlichen Förderung aber noch verstärken.
Die alten Buchen und Eichen zeigen teilweise Kronenschäden und auch einige Tannen wurden von Borkenkäfern zum Absterben gebracht. Dennoch ist Herr Dr. Rodenkirchen zuversichtlich, dass sein gemischter Wald auch im Klimawandel stabil bleibt. Vor allem auf die Naturverjüngung, die unter den neuen Standortbedingungen aufwächst, setzt er große Hoffnungen.
Zum Abschluss besichtigen wir noch eine drei Hektar große Fläche, die vom Orkan Lothar vor 20 Jahren geworfen wurde. Hier wurde nur das stärkere, wertvollere Holz von der Fläche geräumt, der Rest blieb liegen. Zunächst war Dr. Rodenkirchen etwas skeptisch, ob sich die Fläche gut ohne Pflanzung wiederbewalden würde, aber nach 10 Jahren waren bereits 12 Baumarten auf der Fläche, darunter auch etliche Traubeneichen, die jetzt gezielt heraus gepflegt werden, um auch diese wertvolle, lichtbedürftige Baumart in Zukunft im „Portfolio“ des Betriebs zu behalten. Dr. Rodenkirchen hält übrigens das Verbleiben von viel Restholz auf der Fläche ganz wesentlich für den Erfolg der Wiederbewaldung.
Auf dem Großen Grassert wird kaum gepflanzt und auch Wildschutzmaßnahmen entfallen weitgehend. Daher entspricht der Aufwand in diesem Bereich, lediglich 20-25 % des in Baden- Württemberg üblichen.
Nach vier Stunden, die wie im Flug vergehen, verabschieden wir uns und ich setze meine Wanderung fort. Auf dem Höhenrücken, dem ich jetzt durch schönen Mischwald folge, reihen sich 7 Windräder aneinander. Auch wenn sie hoch über das Kronendach ragen, wird die Landschaft dadurch großflächig verlärmt. Hier gibt es die so schöne Waldesstille nicht mehr…
Ich denke über unsere Gesellschaft nach, in der nach wie vor Wirtschaftswachstum über alles geht. Schon vor 50 Jahren erschien „Die Grenzen des Wachstums“. Damals hatten Computersimulationen ergeben, dass das immer noch mehr von allem, langfristig zum Kollaps führen wird. Ein Befund, der auch durch neuere Untersuchungen nie widerlegt wurde. Für mich ist die „Energiewende“ mit ihren Windrädern ein gutes Beispeil für den nach wie vor vorhandenen Glauben an unendliches Wachstum. Gut, fossile Brennstoffe und Atomkraft haben sich als schädlich herausgestellt, machen wir eben weiter wie bisher, diesmal nur eben mit Windkraft und Co. Das auch dafür endliche Ressourcen verbraucht werden, wird ausgeblendet. Am Ende des Tages wird uns nur ein sparsamerer Umgang mit allem helfen. Wie ich heute gehört habe, gibt es in Baden Württemberg Pläne zum Bau von 1000 neuen Windrädern. Auch Waldeinsamkeit, Ruhe und harmonische Kulturlandschaften sind endliche Ressourcen…
Nachdem ich lange durch den Wald gelaufen bin, komme ich immer wieder an Höfen vorbei, die traumhaft inmitten saftig grüner Wiesen liegen, vor der Kulisse der je nach Laubbaumanteil dunklen oder lindgrünen Wälder. Dazu zirpen bereits die Grillen. Der April ist herrlich!
Lange Zeit finde ich kein Wasser und bin froh, als ich ein schwaches Tröpfeln aus einem Rohr am Waldrand entdecke, an dem ich meine Vorräte auffüllen kann.
Trotz Sonne und strahlendem Himmelsblau weht eine frische Brise, daher bin ich froh, als ich schließlich ein halbwegs geschütztes Plätzchen in einem Buchenwald finde, auf dem ich mein Lager aufschlagen kann.
Nachdem der Abendhimmel sich von orange zu lila verfärbt hat und ich auf dem Rücken liegend in die Baumkronen schaue, streicht ein Waldkauz lautlos an mir vorbei.
Ich bin ein Teil des Waldes!