15.10.2021 Tag 212 Naturnahe Forstwirtschaft im Uelzener Stadtwald
Bereits um sechs Uhr bin ich wach und beantworte schriftlich die Fragen eines Interviews für das Outdoormagazin. Um acht treffe ich mich dann mit Thomas Göllner, der seit 30 Jahren den 860 Hektar großen Stadtwald Uelzen betreut. Bereits vom früheren Förster Ernst Gerlach, wurde der Wald seit 1973 nach den Grundsätzen der Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) bewirtschaftet. 1997 übernahm der Stadtwald dann, als dritter Betrieb überhaupt, das Lübecker Modell und arbeitet bis heute in einer modifizierten Form danach. So wurden auch hier 10 % der Betriebsfläche als Lernobjekte aus der Nutzung genommen, es wird auf den Anbau ursprünglich nicht heimischer Baumarten verzichtet und 10 Habitatbäume je Hektar ausgewiesen. Der Vorrat entspricht mit etwa 300 Kubikmetern Holz zur Zeit dem deutschen Durchschnitt, es wird aber weniger Holz eingeschlagen als zuwächst, um die durchschnittliche Holzmasse der Bestände auf 400 Kubikmeter zu erhöhen.
Der recht kleine Betrieb hat mit einem Förster, einem Forstwirtschaftsmeister, zwei Waldarbeitern, zwei Auszubildenden und zwei Leuten die ein freiwilliges ökologisches Jahr absolvieren, einen vergleichsweise hohen Personalbestand, schreibt als Eigenbetrieb aber mit der Ausnahme der für alle Forstbetriebe katastrophalen letzten drei Jahre stets schwarze Zahlen. Zum Aufgabenbereich der Stadtforst gehören allerdings auch noch ein Wildpark und ein Waldfriedhof. Etwa 30 % der Holzmasse werden von zwei Rückepferden vorgeliefert. Bereits Ernst Gerlach legte auf einem Großteil der Fläche Rückegassen im 50 Meter Abstand an, was von Thomas Göllner konsequent fortgesetzt wurde, daher sind die Pferde ein wichtiger Bestandteil des Holzbringungskonzepts.
Eigentlich gibt es im Stadtwald lediglich 20 % an Laubwaldbeständen, ein Wert der durchaus repräsentativ für Deutschland ist. Ungewöhnlich ist dagegen, dass in der Verjüngung, Laubbäume mit 80 % bei weitem dominieren. Dies ist natürllich auf die großen Anstrengungen der letzten 50 Jahre zurückzuführen, zu einem gemischten Wald zu gelangen. Die Buche wurde zwar auch teilweise gepflanzt, verjüngt sich aber meistens natürlich in die Nadelwaldbestände. Das ist bei der Eiche nicht der Fall, daher werden im Durchschnitt 20.000 Bäume pro Jahr gepflanzt, zu über 80 % Eichen, aber auch seltenere Baumarten wie Vogelkirschen, Ahorne und Elsbeeren.
Im Gegensatz zum klassischen Lübecker Modell wird hier vergleichsweise viel gepflanzt und gepflegt, was aber in erster Linie auf die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen zurückzuführen ist.
In der einen Referenzfläche ist die Fichte in den letzten Jahren zu einem großen Teil von Borkenkäfern zum Absterben gebracht worden. Interessant zu beobachten ist hier, dass inmitten von Baumleichen immer wieder einige grüne Fichten stehen, die aus irgendeinem Grund entweder nicht angegriffen wurden oder erfolgreich Widerstand geleistet haben.
Bei den Durchforstungen wird stets vergleichsweise wenig Holz entnommen, aber durchaus schon mal auch kleinere Gruppen von Bäumen um Ansatzpunkte für eine ungleichmäßige Verjüngung zu schaffen.
Bei der Pfanzung der Eichen unter die Kiefern sind laut Göllner keine größeren Auflichtungen notwendig, da die Kiefernkronen sehr lichtdurchlässig sind. So starke Entnahmen wie ich sie im Forstamt Sellhorn gesehen habe, dienen immer der fast reinen Verjüngung der Kiefer, was hier auch auf den schlechteren Standorten nie angestrebt wird.
Dr. Hauskeller hatte ja erwähnt, dass es Standorte gibt, in denen der Wechsel von Fichte zu Eiche nur über Kahlschlag funktioniert. Auch in Uelzen gibt es solche wechselfeuchten Flächen, die in diese Kategorie fallen. Hier lässt Thomas Göllner allerdings keine Kahlschläge durchführen, sondern nutzt kleine Lücken ab etwa 0,3 Hektar Größe um die Eiche kleinflächig einzubringen. Das kleinflächige Arbeiten ist überhaupt ein wichtiges Merkmal der naturnahen Bewirtschaftung in Uelzen sowie auch in anderen Betrieben. Dieses ermöglicht auch, die Einzelbäume bis zu ihrem wirtschaftlich sinnvollem Erntedurchmesser wachsen zu lassen. Diese sind in Uelzen mit 60 Zentimetern bei Kiefern und Fichten sehr hoch, da man sich sonst oft schon mit 45 Zentimetern zufrieden gibt. Auch bei der Buche fängt man erst ab 70 Zentimetern an, über eine Nutzung nachzudenken, während woanders selbst das Überschreiten von 60 Zentimetern kaum vorkommt. Da starkes, Qualitätsholz besser bezahlt wird, ist es kein Wunder, dass Uelzen in diesem Bereich hohe Erlöse erzielt.
Ich frage Thomas Göllner, warum das naturnahe Wirtschaften, was hier mit ökologischer und ökonomischer Sinnhaftigkeit zu gleich augenfällig ist, nicht weitere Verbreitung findet. Hierfür nennt er zwei Gründe: Dadurch, das viele, auch öffentliche Forstbetriebe in der Regel jährliche Vorgaben haben, was abzuliefernde Erlöse angeht, geraten eher langfristig wirkende Strategien wie der naturnahe Waldbau leicht ins Hintertreffen. Außerdem ist diese Art des Waldbaus recht personalintensiv, aber in den letzen zwanzig Jahren wurde die Hälfte des Forstpersonals überall abgebaut. Natürlich erleichtern grundsätzlich moderne Mittel wie ein betriebliches GIS das kleinflächige Arbeiten, aber die menschliche Komponente bleibt sehr wichtig.
Während es recht stark regnet, führe ich zwei Interviews mit Norman Reuter von der Allgemeinen Zeitung und Carsten Schlüter von Radio Zusa, anschließend setze ich mit Thomas Göllner die kleine Exkursion fort.
Es gibt in Uelzen auch echte Perlen wie über einen Meter dicke Eichen und Weisstannen, die hier gut gedeihen und sich auch ohne Schutz natürlich verjüngen.
Rechtzeitig bevor ich am Nachmittag weiter wandern möche, hört der Regen auf und die Sonne erscheint. Ich laufe durch Uelzen, durchquere ein kleines Waldgebiet und folge dann ein Stück weit dem Elbe Seitenkanal, bevor ich wieder in den Wald abbiege und in der Dämmerung in einem moosigen Kiefernwald mein Lager aufschlage.
Lieber Herr Klamer,
Ihre Wanderung dürfte nie zu Ende gehen….schreibe ich vom bequemen Arbeitszimmer aus. Nein, Spaß beiseite: Allein schon die von Ihnen dokumentierten zahlreichen Beispiele von Kolleginnen und Kollegen, die sich mit ihrem Sachverstand und ihrer Erfahrung, vor allem aber mit Herzblut, dem Wald widmen, wie Herr Göllner, dokumentieren Zeugnisse, die Mut machen. Wenn Sie andererseits, ohne verletzend zu sein, “kein Blatt vor den Mund nehmen”, beschönigen und überdecken Sie in keiner Weise die breite Wirklichkeit. Mein Kompliment für Ihren Weg! Danke.
Lieber Herr Wilhelm,
vielen Dank für Ihren sehr ermutigenden Kommentar! Tatsächlich ist es sehr schön, viele Kollegen zu treffen, die einen wirklich naturnahen Waldbau pflegen. Ansonsten könnte auch ich manchmal glauben, mich in einen Irrweg verrannt zu haben. Aber die Praxis zeigt sehr schön, dass eine naturnahe, ökologisch und ökonomisch erfolgreiche Waldwirtschaft durchaus möglich ist, wenn der notwendige Wille vorhanden ist…