11.10.2021 Tag 208 Waldbewirtschaftung der niedersächsischen Landesforsten in der Lüneburger Heide
Bereits früh am Morgen stehe ich auf und verschicke die Einladungen für mein Finale am achten November in Marburg. Nachdem ich noch einmal die heiße Dusche genossen habe, esse ich die Reste von gestern Abend, 500 Gramm Nudeln und 200 Gramm Erdnüsse waren doch etwas viel…
Na ja, und dann gibt es auch noch den Nusskuchen, den Annika Böhm mir gestern Nachmittag mitgebracht hat. Auch der landet natürlich in dem offenbar bodenlosen Wanderermagen.
Um 7 Uhr erscheint dann das Filmteam vom NDR um Redakteur Torsten Ahles, das meinen Aufbruch aus dieser Luxusunterkunft festhalten will. Der Beitrag soll übrigens am 12.11 um 18:30 in Hallo Niedersachsen gezeigt werden.
Um acht sind dann auch Volker Wehde, der Leiter des Waldpädagogikzentrums und Knut Sierk zugegen, der Pressesprecher der Landesforsten für die Region Nordost und langjährige Revierleiter im hiesigen Forstamt Sellhorn.
Am nahe gelegenen Walderlebnis Ehrhorn stößt dann noch Mathias Aßmann dazu, Sachgebietsleiter für Waldbau, Jagd, Zertifizierung und Kommunikation, in der Zentrale der Landesforsten, der diesen und weitere Termine hier in Niedersachsen organisiert hat.
Auf einer kleinen Offenfläche führt uns Herr Sierk in die Geschichte der Lüneburger Heide ein. Einst vollständig bewaldet, war der Wald bis 1850 weitgehend gerodet und die riesigen Heideflächen wurden von den Bauern in der Form genutzt, das ganze Erdstücke mit Heidekraut abgestochen wurden und in den Ställen als Einstreu dienten. Anschließend wurde das mit dem Kot des Viehs angereicherte Material als Dünger auf die Felder gebracht. Auf diese Weise verarmte der ohnehin schon karge Heidesand sehr stark an Nährstoffen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden dann riesige Flächen überwiegend mit der anspruchslosen Kiefer wieder aufgeforstet. An manchen Stellen gibt es immer noch Reste dieser ersten Waldgeneration.
Allerdings verbesserte sich der Boden durch die Bewaldung sehr stark, so das sich vielerorts Laubbäume wie Eichen und Buchen wieder einstellten, teilweise unterstützt durch Saaten und Pflanzungen. Einen solchen Mischwald sehen wir uns noch an, bevor sich das Filmteam verabschiedet.
Um das Örtchen Ehrhorn gab es einst offene Wanderdünen, die noch im 19 Jahrhundert drohten, das Dorf zu verschütten. Durch die Aufforstung wurden die Dünen dann festgelegt, aber stellenweise legt man inzwischen aus Naturschutzgründen den Sand wieder frei, wovon spezialisierte Arten wie der Ameisenlöwe profitieren. Obwohl das Rotwild hilft die Flächen frei zu halten und sogar die Stechpalmen verbeisst, ist tatkräftiger Einsatz von Jugendgruppen aus dem Waldpädagogikzentrum gefragt, um eine rasche Wiederbewaldung zu verhindern.
Ein 100 Hektar großer Teil der Dünen wird schon seit 50 Jahren nicht mehr bewirtschaftet und hat eine erstaunliche Entwicklung hin zum Laubwald durchgemacht, die niemand auf dem extremen Sandstandort vermutet hatte. Die Stechpalme oder Ilex bildet hier regelrechte Dickichte. Natürlich half bei dieser Entwicklung auch, dass es Buchen und Eichen ganz in der Nähe gab.
Die Hähertische, von denen ich bereits mehrfach geschrieben hatte, kamen hier übrigens schon seit den 70’er Jahren zum Einsatz und führten dazu, dass es vielerorts Eichen in den Kiefernbeständen gibt. Ein Problem ist, dass meist etwa 10 % Fichten mit den Kiefern gepflanzt wurden, die sich vielerorts reichlich im Rohhumus der Kiefern verjüngt haben und so die Entwicklung zu einem stabilen Mischwald mit hohem Laubbaumanteil stark verzögern. Fremde Baumarten wie die Douglasie oder Roteichen werden hier im Naturschutzgebiet bereits seit den 70’er Jahren auf freiwilliger Basis seitens der Landesforsten nicht mehr gepflanzt. Davon abgesehen unterscheidet sich die Bewirtschaftung hier kaum von Flächen ausserhalb des NSG. So ist der in Niedersachsen übliche Rückegassenabstand von lediglich zwanzig Metern auch hier der Standard. Zwar gelten Sandböden allgemein als weniger verdichtungsempfindlich, aber selbstverständlich heißt das nicht, dass eine so starke Befahrung gar keine Auswirkungen hat. Leider scheint es bisher aber keine Entwicklung zu geben, die eine Vergrößerung der Rückegassenabstände bewirken würde.
An den großen Heideflächen um den Wilseder Berg sehen wir, wie diese heute offen gehalten werden, in einer Kombination aus Schafbeweidung, maschinellem Abschälen der Heide und auch Einsatz von kontrollierten Bränden. Das ist alles natürlich mit sehr großem Aufwand verbunden, aber sowohl für die touristische Attraktivität als auch für manche Arten wie das Birkhuhn sehr wichtig.
Selbst hier wurde die Heide nicht vollständig entwaldet. Wir besuchen einen Waldteil von etwa 70 Hektar, der durchgehend mit Wald bedeckt war und überwiegend mit Laubbäumen bewachsen ist. Dieser blieb so erhalten, weil königliche Förster das gegenüber der Landbevölkerung durchsetzten. Es gibt hier auch alte Buchen, die inzwischen die Zerfallsphase erreicht haben. Ich erwähnte ja bereits, dass im Landeswald inzwischen 10 % der Fläche aus der Nutzung genommen wurden, darüber hinaus gibt es aber aktuell kein Programm zur Markierung von Biotopbäumen. Sicher werden diese teilweise auch ohne solche Programme von vielen Förstern erhalten, aber aus Biodiversitätsgründen eigentlich dringend notwendige Totholz- und Habitatbaummengen entstehen so nicht. Da wäre meines Erachtens eine Orientierung an Vorbildern wie der Oberförsterei Reiersdorf sehr wünschenswert.
Nachdem wir in dem idyllischen, durch den Heidetourismus geprägten Ort Wilsede Mittag gegessen haben, schauen wir uns weitere Flächen an. Ein Kiefernwald wurde sehr stark aufgelockert um als Korridor zwischen zwei großen Heidebereichen zu dienen. Die durchziehenden Schafe sorgen durch ihren Verbiss für eine leicht verzögerte Wiederbewaldung, deren Aufhalten dennoch dauerhaft großen Einsatz erfordert.
Eine Zaunfläche wurde mit Eichen bepflanzt. Vorher standen hier Fichten, die aber nicht vom Sturm geworfen oder von Borkenkäfern zum Absterben gebracht wurden, sondern bewusst kahl geschlagen wurden. Auch wenn man dabei unter der in Niedersachsen maximal möglichen Kahlschlaggröße von zwei Hektar geblieben ist, sollten Kahlflächen stets vermieden werden, unter Anderem weil sie sehr starke Eingriffe in das Ökosystem Wald sind und durch die starke Sonneneinstrahlung rasch zum Humusabbau und damit auch zu einer hohen Freisetzung des im Boden gebundenen Kohlenstoffs führen. Das ist natürlich in Zeiten der Klimakrise noch negativer zu beurteilen als sonst. Ein Umbau des Fichtenbestandes durch Unterpflanzung mit Buchen, wie es ja auch sonst hier oft durchgeführt wird, wäre sicher besser gewesen.
Eichen hätte man gut auf den nächsten Flächen, die wir uns anschauen, einbringen können. Wie bereits gestern gesehen, wurde der Kiefernbestand sehr stark aufgelichtet und der Rohboden streifenweise frei gelegt, so dass die Kiefer in Massen gekeimt ist. Das war auch tatsächlich das Ziel, auf nährstoffarmen Standorten soll auch in der nächsten Generation die Kiefernwirtschaft fortgesetzt werden. Zwar ist davon auszugehen, dass noch einige Birken einfliegen und wohl auch die eine oder andere vom Eichelhäher gesäte Eiche dazu kommt, aber durch dieses Vorgehen, mal von dem kahlschlagartigem Eingriff abgesehen, erhält man wieder einen überwiegend aus Kiefern bestehenden Nachfolgebestand. Aus der Perspektive der Holzproduktion ist das verständlich, aber aus Gründen der Wasserspende ins Grundwasser, der Kühlung der Landschaft, oder auch der Minderung der Waldbrandgefahr halte ich es für falsch so an der Kiefer festzuhalten. Fairerweise muss man natürlich sagen, dass schon seit langem auf großer Fläche der Umbau zu mehr Mischwald mit Beteiligung von Eichen und Buchen läuft, dennoch würde ich geringere Auflichtungen mit punktueller Einbringung von Eichen für besser halten, auch unter der Wahrscheinlichkeit, dass so der Kiefernanteil sehr langfristig sinkt. Unter den derzeitigen Bedingungen halte ich die anderen Leistungen des Waldes für wichtiger, als die Rohstoffversorgung, daher sollte denen im Zweifelsfall Vorrang gewährt werden, was natürlich nicht heißt, dass kein Holz mehr genutzt werden soll!
Nachdem wir uns noch eine Fläche angeschaut haben, auf der der seltene Sprossende Bärlapp gefördert wird und eine gelungene Buchensaat in einem alten Fichtenbestand, verabschiede ich mich schließlich nach diesem interessanten Tag von meinen Gesprächspartnern und wandere von Ehrhorn weiter durch die großen Wälder. Während morgens sogar zeitweise die Sonne erschienen war, geht jetzt immer mal ein Schauer nieder. Schließlich schlage ich mein Tarp auf und bin noch lange mit Schreiben beschäftigt.