1.10.2021 Tag 198 Mit Ulrich Dohle und Peter Rabe vom BDF unterwegs
Gleich morgens ist ein NDR- Team mit Redakteurin Martina Scheller da, dass einen Film für meinen morgigen Auftritt im NDR Nordmagazin dreht. Lagerabbau und Ausrüstung werden filmisch festgehalten, daneben stellt Frau Scheller Fragen zu meinem Projekt. Eli Roland und Mathias sind natürlich auch wieder da, so werde ich gleich von zwei Kameras abgelichtet…
Um 9 erscheinen dann Michael Prochnow von der Ostseezeitung und Torben Oberhag von der Schweriner Volkszeitung, die mir ebenfalls einige Fragen stellen. Vor allem aber sind Ulrich Dohle, Revierleiter bei der Bundesforstverwaltung und gleichzeitig Bundesvorsitzender des BDF (Bund deutscher Forstleute, eine Gewerkschaft), sowie Peter Rabe, seit 2002 Forstamtsleiter in Grevesmühlen und Landesvorsitzender des BDF in Mecklenburg- Vorpommern zugegen. Die Beiden begrüßen mich sehr freundlich, und wir geben gleich vor laufender Kamera einige Statements. Man kann sich ja fragen, warum zwei Gewerkschaftsvertreter an einem Projekt interessiert sind, bei dem es in erster Linie um eine naturnähere Waldbewirtschaftung geht. Wie sich bald herausstellt, sind die Überschneidungspunkte sehr groß!
Allgemein muss man sagen, dass bundesweit im Forstbereich in den letzten zwanzig Jahren etwa die Hälfte der Stellen gestrichen wurde. Das ist selbstverständlich mit der in dieser Zeit erfolgten, stärkeren wirtschaftlichen Ausrichtung der nunmehr als Eigenbetriebe geführten, staatlichen Forstverwaltungen zu erklären. Bei dem auch von mir geforderten, unbedingt notwendigen Umbau der anfälligen Nadelbaummonokulturen ist zwar die Natur ein großer Verbündeter, es ist aber auch viel Einsatz menschlicher Intelligenz und Arbeitskraft notwendig, daher liegt es nah, dass sich eine Gewerkschaft für eine naturnahe Waldwirtschaft einsetzt. Ausserdem sind zahlreiche Kollegen zunehmend frustriert, einerseits weil sie ihre Arbeit kaum noch schaffen, andererseits aber auch, weil sie viele Vorgaben nur noch mit schlechtem Gewissen erfüllen, sei es in der Erschließung für Großmaschinen oder den ständig gestiegenen Einschlagsmengen. Viele Förster wünschen sich eine Waldwirtschaft, die sich statt bisher in erster Linie der Holzerzeugung zu widmen, stärker auf die anderen Leistungen des Waldes, wie Klimaschutz, Wasserspeicherung, Erholung und vieles mehr, fokussiert. So ist es auch kein Wunder, dass ich bei den Gewerkschaftsleuten auf offene Ohren stoße.
Nachdem Journalisten und NDR sich verabschiedet haben, wandern wir zusammen durch den Questiner Wald, der als Landeswald vom Forstamt Grevesmühlen betreut wird. Seit vor kurzem der zuständige Minister Backhaus, nicht zuletzt nach Gesprächen mit Rabe und Dohle, erklärt hat, dass der Landeswald in Mecklenburg-Vorpommern zukünftig als Dauerwald bewirtschaftet werden soll, ist hier allerhand im Umbruch. Ein Dauerwald wird kahlschlagfrei bewirtschaftet und besteht im Idealfall aus verschiedenen Baumarten unterschiedlicher Höhe und Alters. So wächst ständig aus sich heraus wertvolles Holz nach und trotz dauernder Nutzung verändert sich die Struktur des Waldes kaum. Laut Peter Rabe gibt es aber noch intensive Diskussionen, wie dieser vorgegebene Weg denn nun tatsächlich eingeschlagen werden soll. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Kahlschläge, womit jede Freifläche von mehr als einer Baumlänge gemeint sind, werden komplett unterlassen, was auch für das beliebte „Abräumen“ von borkenkäferbedingt abgestorbenen Bäumen gilt. Starre Festlegungen von Umtriebszeiten, Produktionszeiträumen, Betriebszieltypen, und Ähnlichem unterbleiben vollkommen. Maßstab für die Ernte des wertvollen Holzes ist lediglich das Erreichen eines Mindestzieldurchmessers. Dieses wird nicht mehr durch fixe, bestandesweise Mengenvorgaben konterkariert. Wo immer möglich wird mit Naturverjüngung gearbeitet, die lediglich durch Saaten und in viel geringerem Umfang als heute, durch Pflanzungen ergänzt wird. Heimische Baumarten genießen absoluten Vorrang und werden nur durch maximal kleinflächige Mischungen nicht heimischer, aber dem Waldökosystem nicht abträglicher Baumarten, wie beispielsweise der Douglasie ergänzt. Nicht zuletzt genießen Schutz des Bodens und Rückhaltung des Wassers im Wald absolute Priorität. Dazu wird sofort der bislang in Mecklenburg- Vorpommern geltende Rückegassenabstand von 20 auf mindestens 40 Meter erweitert.
Genauso wie es „Ein bisschen schwanger nicht gibt“ gibt es auch „ein bisschen Dauerwald“ nicht! ( Frei nach Wilhelm Bode). Jetzt bin ich gespannt ob in MV wirklich die entsprechenden Weichen gestellt werden!
Ebenso wie ich sind Rabe und Dohle der Meinung, dass die Zeit reif ist, für ein großes, staatliches Aufforstungsprogramm, nicht zuletzt aus Klimaschutzgründen. Denn der Anteil von zur Zeit im Wald gespeicherten Kohlendioxidimmissionen von 7 % kann potenziell noch wesentlich gesteigert werden!
An einem etwa 40- jährigem Fichtenbestand diskutieren wir die Umbaunotwendigkeit. Bis vor kurzem hätte man diesen Bestand kontinuierlich durchforstet, bis er von einer Kalamität dahin gerafft worden wäre oder die Reste schließlich kahl geschlagen. Anschließend hätte man die entstandene Freifläche mit Laubbäumen wieder bepflanzt.
Im Dauerwald will man Kahlflächen unbedingt vermeiden, weil sie in vielerlei Hinsicht das Waldökosystem auf Null zurücksetzen. Daher würde man heute beispielsweise so einen Bestand mit benachbarten Laubbäumen einmal stark durchforsten, so dass sich durch den verbesserten Lichtgenuss erste Laubbäume ansamen können, was punktuell durch Saat oder Pflanzung von bisher nicht in der Umgebung vorhandenen Bäumen ergänzt werden kann. In einem relativ kleinen Waldgebiet wie dem Questiner Forst, was eine Insel in der Agrarlandschaft ist, halten wir es für äußerst schwierig, den Wildbestand so zu regulieren, dass kein Verbissschutz mehr notwendig ist. Daher halten wir eine Zäunung hier für durchaus angemessen. Nach einigen Jahren entsteht so ein Mischwald und selbst wennn dann die Fichten im Oberstand dem Borkenkäfer anheim fallen, entsteht keine gehölzlose Freifläche.
Nach vielen guten Gesprächen verabschieden sich Peter Rabe und Ulrich Dohle schließlich am Rand des Questiner Waldes und ich setze meinen Weg alleine fort. Vor der A 20 stoßen dann Eli Roland und Mathias noch einmal dazu, bis ich alleine weiter laufe. Die Landschaft ist hier ziemlich einsam mit nur wenigen, winzigen Ansiedlungen, dennoch gibt es kaum Wald.
In Torisdorf werde ich von Monika und Jürgen angesprochen, die seit einem Jahr hier wohnen und sehr an meinem Projekt interessiert sind. Es tut jedes Mal gut, wenn ich auf Menschen stoße, die ich tatsächlich etwas „waldbegeistern“ kann.
Schließlich schlage ich mein Lager im Sonnenuntergang in einem schmalen Gebüschstreifen aus Schlehen, Weißdorn und einigen Pappeln auf.
Dieser Beitrag war ein Volltreffer, der genau die Situation der heutigen Forstwirtschaft, insbesondere der Landesforstbetriebe, kurz und prägnant auf den Punkt bringt. Im dritten Absatz wird genau das Dilemma vieler engagierter Förster thematisiert, die “ihren” Wald gerne naturnah bewirtschaften würden, durch betriebswirtschaftliche Vorgaben aber immer wieder zum Gegenteil gezwungen werden. Es wird Zeit, den Wald als wesentlichen Teil unserer Daseinsvorsorge zu betrachten und nicht mehr überwiegend als vorrangigen Holzproduzenten. Die bisher immer betonte “Gleichwertigkeit” der (Nutz-, Schutz-, Erholgungs-) -funktionen des Waldes wird leider immer noch von der Nutzfunktion überlagert.
Super Beitrag; weiter so und noch eine gute Rest-Wanderung!
Vielen Dank Mathias, ich hoffe sehr, dass sich diese Sichtweise bald ändert und bin da nicht total ohne Optimismus!
Guten Morgen, Gerald!
Heute morgen war im Uckermarkkurier der Artikel über deinen Besuch am 03.09. in Reiersdorf bei Dietrich Mehl. Darüber habe ich jetzt erstmal von deiner Wanderung erfahren. Tolle Idee!
Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich dich gerne auch in unseren Wald eingeladen! Ich bin im Templiner Stadtwald gelandet und mache hier das Schulwaldprojekt der Stephanus Stiftung.
Weitere Informationen findest du hier:
https://waldhofschule.de/waldprojekt.html
Nun bist du ja schon wieder eine Ecke weg, aber vielleicht finden wir ja noch eine Gelegenheit, uns mal wieder zu treffen. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen!
Dein alter Studienkollege Jojo
Hi Jojo,
schön von dir zu hören! Ja, wer weiß, vielleicht klappt es ja irgendwann mal!
Liebe Grüße
Gerald