Die größte Waldweide Mittel- und Osteuropas
15.05.2022
Während die Delegation am Morgen die Kirchenburg besucht, die ich ja schon kenne, unterhalte ich mich länger mit Tibor Hartel. In einem aktuellen DBU- Projekt wird unter anderem die derzeitige Ausdehnung der Huteweiden untersucht. Dabei hat sich eine Größenordnung von etwa 400.000 Hektar ergeben. Das ist eine um 30 Prozent größere Fläche als das Saarland! Obwohl die Kartierung noch nicht abgeschlossen ist, hat sich überall gezeigt, dass die Luftbildauswertung perfekt mit den Gegebenheiten vor Ort übereinstimmt. Der Schwerpunkt der Huteweiden liegt im Siedlungsgebiet der deutschstämmigen „Sachsen“ in Siebenbürgen, da diese auf Rinderzucht spezialisiert waren. Im Gegensatz zu Schafen benötigen Kühe Schatten, daher war die Erhaltung der Bäume stets eine Notwendigkeit. Heute kommt die Hauptbedrohung aus zwei Richtungen: Wo zu wenig oder gar nicht mehr beweidet wird, kommt der geschlossene Wald rasch zurück. Häufiger ist allerdings, dass die ehemaligen Gemeinschaftsweiden privatisiert werden, was oft eine Intensivierung der Nutzung mit sich bringt, mit Einzäunung der Flächen und Beseitigung von Strukturen, wie Büschen und Einzelbäumen. Natürlich ist es ideal, wenn es gelingt, wie in Viscri, die alte Nutzung fortzuführen, dennoch versuchen Tibor und andere auch beispielsweise durch Tourismusprojekte, den Menschen vor Ort den Wert dieser tollen Landschaft zu zeigen.
Tibor zeigt mir eine app, mit der jeder Bürger alte, bemerkenswerte Bäume erfassen kann, was stark genutzt wird.
Später fahren wir zur Huteweide von Mercheasa, mit 1500 Hektar, die größte Waldweide Mittel- und Osteuropas! An diesem Sonntag sind hier etliche Besucher zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs, offenbar entdecken zur Zeit viele Rumänen diese traumhafte Landschaft für sich! Besonders attraktiv ist hier eine 359-jährige Eiche mit 9 Metern Umfang!
Außerdem gibt es kleine schlammige Wasserlöcher, die durch das Wälzen der Wasserbüffel entstanden sind, die hier auch Bestandteil der Herden sind. In den Tümpeln leben Gelbbauchunken, die in Deutschland stark bedroht sind und eine winzige Krebsart.
Mit Professor Niebing drehe ich ein Video zu den Aktivitäten der DBU in Rumänien, dann heißt es auch schon Abschied nehmen.
Dietmar fährt mich noch ein Stück, dann lege ich die restlichen 40 Kilometer nach Sebes per Anhalter mit 5 verschiedenen Autos zurück, was gut funktioniert.
In Sebes komme ich in der Pension Casa Nica unter, die vor vier Jahren eröffnet wurde, und den Gästen einen Standard bietet, den viele wohl nicht in Rumänien erwarten würden! Bald treffe ich mich mit einer kleinen Gruppe, mit der ich morgen unterwegs sein will: Den rumänischen Ökologen Ion Holban hatte ich ja bereits kennengelernt. Professor Dr. Rainer Luick von der Hochschule Rottenburg ist ein Biologe, der angehende Förster im Naturschutz unterrichtet. Seine Kollegin Monika Nussbaumer ist auf Tourismusentwicklung spezialisiert. Matthias Schickhofer ist ein österreichischer Aktivist, der lange für Greenpeace tätig war und heute selbstständig etliche Naturschutzprojekte betreut. Die Gruppe hat in einem von der DBU gefördertem Projekt die Urwälder Rumäniens kartiert. Nun soll in einem Nachfolgeprojekt das Interesse der örtlichen Bevölkerung am Urwald geweckt werden, wozu man vor allem die Entwicklung von naturtouristischen Angeboten nutzen will.
Die Gruppe ist in der ebenfalls eindrucksvollen Pension Maria untergebracht, wo wir bei Essen und Trinken zusammen sitzen. Ion zeigt uns auf seinem Laptop, wie wenig Urwald hier bisher offiziell im nationalen Katalog anerkannt ist, wieviel aber tatsächlich vorhanden ist.
Sehr bedrohlich für den Urwald erscheinen in diesem Zusammenhang die zahlreichen Einschlagsbewilligungen, die ebenfalls auf der digitalen Karte von Ion verzeichnet sind. Ich bin gespannt, was ich morgen zu sehen bekomme!