Klagen gegen Kahlschläge
Gerade erst wurden zwei Klagen im Zusammenhang mit dem “Abräumen” von Borkenkäferfllächen erhoben. In Rheinland-Pfalz geht es Peter Wohlleben und Prof. Pierre Ibisch darum, dass durch die großflächigen Kahlschläge das FFH- Gebiet beeinträchtigt worden sei, in dem die Flächen liegen. Dagegen beklagt Norbert Panek mit der Naturschutzinitiative die massive Bodenzerstörung beim Räumen der Borkenkäferflächen im hessischen Reinhardswald.
Hier stellt sich die Frage warum die Forstwirtschaft so offensichtlich massive Eingriffe vornimmt.
An erster Stelle wird dabei meistens genannt, das Ausfliegen der Borkenkäfer durch rechtzeitigen Einschlag und Abtransport zu verhindern. Die Borkenkäfer legen ihre Eier unter der Rinde geschwächter Fichten ab. Aus denen entwickeln sich dann Larven, die sich durch die Kambiumschicht fressen, dadurch den Stofftransport zwischen Krone und Wurzeln unterbrechen und so den befallenen Baum zum Absterben bringen. Aus den Larven schlüpfen irgendwann die erwachsenen Käfer und der Zyklus geht von vorne los, indem die nächsten Bäume befallen werden. So weit erscheint es zunächst sinnvoll, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Allerdings funktioniert das bei einer starken Massenvermehrung der Borkenkäfer, wie in den letzten 4 Jahren so gut wie nie. Es gibt einfach zu viele Käfer, denen zu wenig Maschinen gegenüberstehen. Außerdem fließt das Holz durch das Überangebot auf dem Markt nicht schnell genug ab. In der Realität gibt es also unter der Rinde der geernteten Fichten gar keine Käfer mehr, der Harvestereinsatz findet meist viel zu spät statt.
Ein weiteres zunächst plausibel erscheinendes Argument ist, dass man das Holz der toten Fichten verkaufen möchte. Hierzu ist zu sagen, dass 2018 die Preise durch das Überangebot an Fichtenholz so stark eingebrochen waren, dass das kaum wirtschaftlich war. Dagegen hat man durch solche Aktionen die ohnehin schon überlasteten Märkte noch weiter strapaziert und vielerorts wurden die Forstwege durch Ernte und Abfuhr des Holzes so in Mitleidenschaft gezogen, dass das teure Instandsetzungsarbeiten nach sich zog. In diesem Jahr haben sich die Preise zwar erholt, aber wenn die Fichten bereits längere Zeit trocken stehen, hat sich die Holzqualität drastisch verschlechtert, so dass sich auch bei grundsätzlich besseren Preisen nicht zwangsläufig höhere Erlöse erzielen lassen.
An dritter Stelle wird genannt, dass man räumen muss, um pflanzen zu können und die Flächen mit abgestorbenen Fichten nach kurzer Zeit wegen der Gefahr des Umstürzens der toten Bäume nicht mehr begehbar wären. Auch dies ist auf den ersten Blick nachvollziehbar, bei näherer Betrachtung jedoch nicht. Selbst tote Bäume spenden noch Schatten, sorgen für Windruhe und können sogar nach ihrem Umstürzen eine Art natürlichen Wildschutzzaun bilden, für die sich oft einfindende Naturverjüngung. Außerdem setzen sie die in ihnen gebundenen Nährstoffe langsam wieder frei. Aus diesen Gründen bestehen für das Gedeihen junger Waldbäume auf ungeräumten Flächen wesentlich bessere Vorraussetzungen. Weiterhin ist es in der Regel unnötig und teuer, ganze Flächen zu bepflanzen. Viel sinnvoller ist es in der Umgebung fehlende Baumarten lediglich in kleinen Trupps einzubringen und ansonsten viel mit der natürlichen Ansamung auf solchen Flächen zu arbeiten. Oft reicht diese völlig aus, und man kann auf teure Pflanzungen verzichten. Dagegen kann man den Schatten der toten Bäume in den ersten Jahren, bevor diese umsturzgefährdet sind, hervorragend dazu nutzen, Baumarten wie Buchen oder Weißtannen einzubringen, die auf den Kahlflächen mit ihrem Steppenklima kaum gedeihen.
Wahrscheinlich spielt die deutsche Ordnungsliebe auch eine Rolle. Blitzeblanke Kahlflächen sehen doch viel ordentlicher aus, als hektarweise tote Bäume…
Der eigentliche Hauptgrund für die Abräumaktionen ist aber wahrscheinlich das Selbstverständnis vieler Förster, die sich in erster Linie nach wie vor über die Ernte des Holzes definieren. Auch wenn es eigentlich rational keine ausreichenden Argumente für das Abräumen der Borkenkäferflächen gibt, führt dieses Denken zu so, ökologisch schädlichen, aber auch wirtschaftlich häufig unsinnigen Aktionen.
Offenbar ein altes Verhaltensmuster, das erst jetzt neu überdacht wird.
Lieber spät als zu spät oder gar nicht.
Sehr geehrter Herr Klamer,
vielen Dank für Ihren Bericht! Ein riesiges Problem dabei ist, dass – zumindest in Niedersachsen – die Bezirksförster, die die privaten Waldflächen betreuen, bei der Landwirtschaftskammer angestellt sind und sich von dieser unter Druck gesetzt sehen, mehr Profit zu machen. Manch ein privater Waldbesitzer würde seine Flächen ohne diese Beratung nachhaltiger bewirtschaften und keine Kahlschläge vornehmen.
Freundliche Grüße sendet
Susanne Grube
Hallo zusammen,
Wieso sollte man ca. 400 fm Holzrohstoff (als Beispiel Fichte 60-70 Jahre alt auf 1ha) verkommen lassen? Umgerechnet sind das z.B. 20 Dachstühle oder schlimmstenfalls 76.000 Liter Heizöl! Können wir uns das in Zeiten des Klimawandels erlauben? Wer ist zukünftig für die Sicherheit von Waldbesuchern verantwortlich, wenn man die abgestorbenen Wälder absichtlich in sich zusammenbrechen lässt? Urwälder wie am Amazonas sind in Mitteleuropa Utopie!
Hallo Her Braun,
bis Anfang des Jahres war der Holzmarkt bei uns aufgrund der hohen abgestorbenen Fichtenmengen gar nicht in der Lage das ganze Holz aufzunehmen. Ein Großteil davon wurde daher nach China verramscht. In dieser Zeit hat es wirtschaftlich keinen Sinn gemacht, den ohnehin verstopften Markt noch weiter zuzuschütten, was zu einem großen Teil nur wegen der unsinnigen staatlichen Förderung je Kubikmeter Schadholz einen sehr kleinen Deckungsbeitrag ergeben hat. In Zeiten wie jetzt, wo sich der Preis erholt hat, halte ich es auch für sinnvoll, einen Teil des Holzes auf den Schadflächen zu ernten. Allerdings nie alles, ohnehin geringerwertige Sortimente stehen zu lassen macht auch wirtschaftlich Sinn und erleichtert die Wiederbewaldung. Zu den Auswirkungen von Kahlschlägen schreibe ich noch gesondert etwas. Entlang der Wege müssen die toten Fichten natürlich gefällt werden.
Lieber Herr Braun,
was bringen einem ein paar Euros mehr, wenn dabei die Natur unwiderruflich zerstört wird? Ist Ihnen eine intakte Natur wirklich so unwichtig? Ist Ihnen wirklich völlig egal, wie die Erde aussieht, wenn Sie einmal nicht mehr leben?
Zur Gefahr umstürzender Bäume: Man sollte bei einem Waldbesuch sowieso immer auf den Wegen bleiben, alleine schon um die Tiere nicht zu stören. Wer sich vom Weg abbegibt, z. B. um Pilze zu sammeln, macht dies immer schon auf eigene Gefahr hin. Und wer Augen im Kopf hat, sieht, wo eine größere Gruppe toter Bäume steht und geht dann dort auch nicht hin.
Vielleicht noch eine kleine Ergänzung zur Diskussion über die Räumung von Käferbäumen, Totholz, Rohstoffressourcen und “Urwälder”: Natürlich sind Urwälder “wie am Amazonas” in Deutschland Utopie. Denn dort gibt es anderes Klima und andere (Baum-)arten.
In Mitteleuropa, und auch in Deutschland (!), sind aber Urwälder aus den hierzulande heimischen Baumarten (sehr wenige hoch gefährdete kleine Primärwaldreste und sogenannte “Urwälder von morgen”) gar keine Utopie, sondern Realität – und gehören gerade in D zu den von Erholungssuchenden meist frequentierten Waldflächen in diesem Land. Zum Beispiel im Nationalpark Bayerischer Wald, wo tausende von Hektar Fläche mit abgestorbenen, zusammenbrechenden Fichten (ua. Baumarten) durchsetzt oder dominiert sind. Natürlich kann man das händeln, sogar bei > 1 Mio Besucher jährlich. Und in den kleinen “Urwaldresten” hier sogar ohne die klassische Verkehrssicherung entlang der markierten Wege.
Ich denke, Geralds Blog hier hat bisher an sehr vielen Beispielen ausreichend klar gemacht, wie wichtig Totholz für die Biodiversität aber auch für die Wälder selbst und v.a. die Walderneuerung, gerade nach natürlichen Störungen ist. Und ebenso, dass wir Bäume im Wald nicht nur durch die Brille der Holzindustrie als potentielle Bretter sehen dürfen, wenn auch wir überleben wollen auf dieser schönen Erde.
Im Übrigen gibt es seit den großen Käferkatastrophen der letzten Jahre verstärkt Bemühungen, die abgestorbenen Bäume zu verheizen – weil, wie schon von Gerald angemerkt, die Holzindustrie diese schieren Massen zeitweise gar nicht mehr aufnehmen kann. Nicht nur in Bezug auf Wald und Biodiversität, sondern auch in Bezug auf Klimaschutz ist Bäume verheizen (nicht lokal sondern im industriellen Maßstab) völlig daneben, weil Holz natürlich bei der Verbrennung auch CO2 freisetzt, je Energieeinheit sogar mehr als Öl oder Gas – von den ökologischen Schäden und der Tatsache, das die Forstwirtschaft sich die Holzpreise dadurch immer mehr kaputt macht, ganz zu schweigen.
Und ich kenne keine Sägewerke, und noch weniger Bauherren, die Käferbäume als Dachstühle wollen. Schade eigentlich.
Lieber Peter, danke für den tollen Kommentar, den ich voll und ganz unterstreiche!
Hier noch ein weiteres Argument, was gegen die sofortige Räumung von “Käferbäumen” spricht:
Gefällte Fichten, aus welchen der Borkenkäfer bereits ausgeflogen ist, tragen nicht mehr zu seiner Bekämpfung bei. Es ist sogar besser Bäume stehen zu lassen, die einst vom Käfer befallen waren.
Vor allem im Frühjahr, im Gebirge noch länger, leben nach dem Ausflug des Buchdruckers noch alle wichtigen Feinde im Baumstamm. Das sind insbesondere parasitäre Wespen sowie räuberische Fliegen und Käfer, wie zum Beispiel der Ameisenbuntkäfer. Diese Gegenspieler des Borkenkäfers werden vernichtet, wenn der Baum gefällt und verwertet wird. Auch wenn die Rinde vollständig abgefallen ist, leben im Baum keine Borkenkäferfeinde mehr.
https://www.sg.ch/news/sgch_allgemein/2020/11/abgestorbene-baeume-gegen-den-borkenkaefer.html
Viele Lebewesen im Wald besiedeln erst alte Bäume und Totholz! Das ständige Aus- und Aufräumen der Landschaft ist der Hauptgrund für den massiven Rückgang der Artenvielfalt in den letzten Jahrzehnten. Dies gilt für Wald, Kulturland sowie den Hausgarten gleichermassen.
Herzliche Grüsse aus der Schweiz!
Hallo Herr Kümmerle,
vielen Dank für den Kommentar, das sehe ich alles ganz genauso!