16.7.2021 Tag 129 Waldwildnis am Possen
Als ich am nächsten Morgen loswandere, bestätgt sich mein Eindruck von gestern. Es gibt hier nur noch wenig alte Bäume über den riesigen Jungbestandsflächen und die so Hitze und Trockenheit ausgesetzten Baumveteranen weisen oft große Kronenschäden auf, oder sind gar abgestorben. Natürllich sind die heißen, trockenen Sommer seit 2018 hier ursächlich, aber durch die starke Freistellung waren diese alten Bäume bereits in eine sehr ungünstige, naturwidrige Position gebracht worden. Man kann also durchaus sagen, dass die Schäden zu einem guten Teil bewirtschaftungsbedingt sind.
In Sondershausen kaufe ich ein, und setze meinen Blogpost von gestern aus dem wlan eines Supermarkts ab, dann laufe ich noch eine ganze Zeit auf dem Radweg am Stadtrand, bis ich die im Haus der Vereine untergebrachte Natura 2000 Station Possen erreiche. Hier bin ich mit Isabell Hümpfner und Jan Tenbrock verabredet. Bevor wir in den Wald fahren, frühstücken wir bei Kaffee und Brötchen erst mal zusammen, sehr nett!
Natura 2000 ist ein ausgedehntes Netzwerk an Schutzgebieten, was auf europäischer Ebene bestimmte Arten und Lebensräume schützen soll. In Thüringen obliegt die Betreuung dieser Gebiete 12 Stationen, von denen Possen eine ist, die aber nicht nur regional zuständig ist, sondern sich schwerpunktmäßig um alle Natura 2000 Gebiete im Wald kümmern soll. Eine Mammutaufgabe!
Der Possen ist ein Teilbereich des Muschelkalkhöhenzugs Hainleite und weist eine große Baumartenvielfalt, sowie zahlreiche Orchideenarten auf. Seit 2019 wurden 1000 ha im Staatswald hier aus der forstlichen Nutzung genommen. Diese sind Teil des 5 % Ziels an Wäldern mit künftiger natürlicher Entwicklung, das im Thüringer Staatswald umgesetzt werden soll.
Zunächst schauen wir uns eine Fläche an, auf der etliche Frauenschuh Orchideen wachsen, die mit regelmäßigen Pflegeeingriffen vor zu starker Beschattung bewahrt werden sollen. Der Frauenschuh, die prächtigste und größte heimische Orchidee ist hier in starkem Rückgang begriffen, den man sich mit der zu starken Beschattung in den hier heute überwiegenden mittelalten Buchenwäldern erklärt. Ebenso wie die angesprochenen starken Freistellungen in natürlichen Buchenwäldern nicht vorkommen, sind einförmige,sehr dichte, schattige Bestände, in denen es dem Frauenschuh zu dunkel ist, Resultate der forstlichen Bewirtschaftung, daher macht es Sinn, dem Frauenschuh durch Pflege zu helfen.
Lediglich ein Teil des FFH- Gebiets 13 am Possen wurde aus der Nutzung genommen, auf dem Rest der Fläche wird die Bewirtschaftung fortgesetzt. Diese sollte eigentlich naturschutzkonform sein und so die Erhaltungsziele des Gebiets fördern. Dabei gibt es aber offenbar erhebliche Defizite. Auch die älteren Bestände wurden mit einem sehr dichten Rückegassennetz durchzogen, von denen aus offenbar fast die komplette Holzernte mit Harvestern durchgeführt wird. Neben der schon oft hier angesprochenen Bodenverdichtung, beeinträchtigt ein so dichtes Netz von Fahrspuren mit vier Meter Breite auch das gerade im Klimawandel so wichtige kühl- feuchte Bestandesinnenklima der häufig zwischen 60 und 80 Jahren alten, überwiegenden Buchenbestände. In einem große Altbestand, wurden die Fahrgassen völlig zerfahren, nach Protesten der Bevölkerung wurden die Rückegassen zwar wieder glatt geschoben, dies ist aber eine eher kosmetische Maßnahme. Hier stellt sich die Frage, ob es wirklich sein muss, noch etliche der letzten Altbäume über der Verjüngung abzuräumen. Leider ist in Thüringen offenbar auch in FFH- Gebieten kein Mindestvorrat definiert, der dauerhaft erhalten werden muss. Aber auch jedem Nichtfachmann, der solche Wälder sieht, in denen kaum noch Altbäume stehen, ist klar, dass hier kaum noch ein Naturschutzwert vorhanden ist. Natürlich kann man frühere Fehler nicht auf einmal wett machen, aber man sollte sie zumindest nicht weiter verschärfen!
Man kann die komplett aus der Nutzung genommenen Bestände als Spenderflächen ansehen, mit künftig viel Totholz und Habitatbäumen. Damit man aber im gesamten FFH- Gebiet den Naturschutz voran bringt, ist es wichtig auch im angrenzenden Wirtschaftswald ausreichend Habitatbäume und Totholz vorzuhalten. Das ist leider nicht der Fall, wie wir feststellen müssen, als wir uns einen frisch zur Fällung ausgezeichneten Bestand ansehen. Hier wurden nicht mal die in Thüringen im Staatswald vorgeschriebenen drei Bäume pro Hektar markiert und wir stellen fest, dass sogar einzelne Habitatbäume zur Fällung vorgesehen sind.
Im gestern besprochenen Waldbericht der Bundesregierung wird der gute Erhaltungszustand der Buchenwald- Natura 2000 Gebiete betont. Das dieser aber überwiegend rein aus den forstlichen Planungsdaten hergeleitet wurde, und so wichtige Parameter wie Habitatbäume und Totholz oft gar nicht beurteilt wurden, macht solche Aussagen zur Farce. Die Realtität in vielen alten Buchenwäldern, die bis auf kümmerliche Reste aufgelichtet wurden, sieht leider ganz anders aus…
Die Natura 2000 Stationen sind beim Umweltministerium angesiedelt, ThürigenForst gehört aber zum Zuständigkeitsbereich des Landwirtschaftsministeriums. Daher ist es für Isabell und Jan unglaublich schwierig, forstliche Daten zu erhalten, die aber essentiell für ihre Arbeit sind. Hier sollte doch eine bessere Zusammenarbeit möglich sein!
Mittags fahren wir wieder nach Sondershausen, wo ich einen etwa einstündigen Podcast mit dem Outdoormagazin aufzeichne, der ab dem 22.7 verfügbar sein soll.
Nachmittags sehe ich mir mit Isabell weitere Waldteile an. Die schönsten Bereiche des künftigen Wildnisgebiets wachsen an den steilen Abbruchkanten des Kalkmassivs. Hier sind auch sehr alte Buchen häufig noch erstaunlich vital.
Erst gegen 17 Uhr verabschieden wir uns und ich steuere zu Fuß wieder das Waldgebiet des Possens an. Da ich abends noch ein Radiointerview habe, suche ich eine Stelle mit gutem Mobilfunkempfang für mein Lager. Das entpuppt sich aber als ziemlich schwierig, bis ich wieder zu dem Aussichtspunkt Rondell zurückkehre, an dem ich schon mit Isabell gewesen war. Das Interview mit dem Wartburgradio aus Eisenach entpuppt sich dann als sehr gut und erstaunlich lang. Vor allem gefällt mir, dass ich auch viel zum Waldzustand erzählen kann.
Schließlich schlage ich mein Lager in einem schönen, alten gemischten Laubbaumbestand ganz in der Nähe auf, bei dem trockenen Wetter natürlich unter freiem Himmel!
Guten Tag Gerald.
Danke für Deine anschauliche und kritische Betrachtungen zum Waldschadensbericht.
Es sind oft die Dinge, die nicht erwähnt werden, die es gilt einer kritischen Analyse zu unterziehen.
Die Holzindustrie hat ihre eigenen Interessen am Wirtschaftwald und artikuliert dies auch entsprechend gegenüber der Politik. Bei hohem Schadholzanfall wird sie jedoch nicht so aktiv; nur in sofern, dass die Preise für Rohholz kräftig nach unten gedrückt werden. Ist das verantwortungsvoll gegenüber dem Wald? …der nicht nur Wirtschaftsgut sein darf, sondern dem aufgrund seiner vielfältigen Wohlfahrtswirkungen ein viel höherer Stellenwert in und für unsere Gesellschaft eingeräumt werden muss.
Hallo Werner,
wie jeder Bericht ist auch dieser keineswegs neutral, sondern überwiegend aus Sicht der Forstwirtschaft, die ja eng mit der Holzindustrie verhandelt ist, geschrieben. Nichts desto trotz gibt es einige Passagen, die zu dem allgemeinen Duktus nicht so recht passen. Ich kann mir vorstellen, dass die eher vom Umweltministerium kommen…