13.7.2021 Tag 126 Nationalpark Hainich- Ein Traum für Waldliebhaber
Als es dunkel ist, höre ich relativ laute Geräusche in unmittelbarer Nähe und schalte schließlich meine Stirnlampe an. Drei Stück weibliches Rotwild erscheinen bald im Lichtkegel und nehmen schließlich Reißaus. Etwas später wird es wieder laut, diesmal ist aufgrund der grunzenden Geräusche aber klar, dass es sich um Wildschweine handelt, die einige Zeit in meiner Nähe das Laub nach Essbarem durchsuchen. Als die Geräusche ziemlich nah wirken, schalte ich wieder meine Lampe an, bekomme diesmal jedoch nichts zu sehen.
Es dauert nicht allzu lange, bis ich am nächsten Morgen den Eingang des Nationalparks Hainich erreiche. Dieser wurde am 31.12 1997 gegründet und nimmt eine Fläche von 7500 Hektar ein. 5000 Hektar davon sind Laubwald, damit ist das die größte, aus der forstwirtschaftlichen Nutzung genommene Laubwaldfläche Deutschlands. Ihr hoher Naturschutzwert wurde 2011 eindrucksvoll bestätigt, als die ältesten Teilflächen der UNESCO Weltnaturerbestätte „Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas“ zugeschlagen wurden. Der Hainich ist damit eines von fünf deutschen Gebieten dieser UNESCO Stätte, die restlichen 73 sind auf 11 weitere Länder verteilt, mit Schwerpunkt in Rumänien und der Ukraine. Die anderen deutschen Gebiete werde ich übrigens auch noch auf meiner Waldbegeisterungs- Wanderung besuchen!
Sobald ich die Nationalparkgrenze überschritten habe, fällt auf, dass der Wald deutlich geschlossener ist, und es vielmehr Totholz gibt, obwohl es zunächst durch mittelalte Bereiche geht.
Schon gegen 8 Uhr erreiche ich Ihlefeld, zunächst eine von Mönchen gerodete und bewirtschaftete Fläche, dann ein Hofgut einer adeligen Familie. Anfang der 60’er Jahre, mit Einrichtung eines Truppenübungsplatzes, endete dann die menschliche Besiedlung und inzwischen erobert die Natur eindrucksvoll ihr verloren gegangenes Terrain zurück.
Pünktlich um neun erscheint Manfred Großmann, der langjährige Leiter des Nationalparks mit einem nett bemalten Elektroauto.
Nach kurzem Vorgespräch fahren wir zu den Zimmerbergen, einer stark geschädigten, relativ kleinen Teilfläche des Nationalparks. Schon am Nordhang sind hier etliche Buchen abgestorben, schockierend sieht es jedoch auf dem Plateau und am Südhang aus. Der flachgründige Muschelkalkboden ist immer schon ein sehr trockener Standort gewesen, in den letzten drei Jahren konnten die hier überwiegend wachsenden Buchen nicht mehr ausreichend Wasser aufnehmen. Etwa 20 % der Bäume sind bereits tot, aber auch die Restlichen sehen überwiegend sehr schlecht aus. Man kann diese Extrembilder aber keineswegs auf den Rest des Nationalparks übertragen, der überwiegend ziemlich vital aussieht.
Manfred Großmann macht sich keine Sorgen um die Zukunft des Waldes im Nationalpark, nimmt aber an, dass auf so trockenen Standorten wie den Zimmerbergen, in Zukunft andere Baumarten wie Eichen, Ahorne, Elsbeeren und Linden dominieren werden. Zur Zeit herrscht in der Naturverjüngung aber die Buche vor. Offenbar ist hier oben ein beliebter Aufenthaltsort des Rotwilds, denn viele Jungbäume sind verbissen. Allerdings scheinen die Hirsche nicht dauerhaft das Hochwachsen der nächsten Waldgeneration verhindern zu können, wie einige bereits recht hohe Bäumchen zeigen. Im Gegensatz zu fast allen anderen deutschen Nationalparks wird im Hainich ernsthaft versucht, die Bejagung einzustellen. Dazu war man auch bereits auf sehr gutem Weg, allerdings kann der Nationalpark wohl nicht vermeiden, in Zukunft die Wildschweine wieder stärker zu bejagen, denn es werden erhebliche Klagen über den Anstieg der Schäden in den angrenzenden landwirtschaftlichen Bereichen erhoben. Schade, denn Jagd in einem Nationalpark ist international weitgehend verpönt, und dass Deutschland es in seinen vergleichsweise kleinen Parks nicht hinbekommt, auch in diesem Bereich „Natur Natur sein zu lassen“, dem Motto der Nationalparks zu folgen, ist nicht gerade vorbildlich…
Wir fahren an den Westrand des Hainich wo der Blick über die Wartburg bis in die Rhön schweift, von wo ich ja gekommen bin.
Nach einem Radiointerview mit Ruth Breer, vom MDR fahren wir zum Aussichtsturm Hainichblick, wo wir eindrucksvoll die 600 Hektar überblicken können, die sich hier seit Anfang der 90’er Jahre von einem russischen Truppenübungsplatz zurück in einen artenreichen Wald verwandeln. Das geht stellenweise ziemlich schnell, in weiter vom Waldrand entfernten Bereichen, schreitet die Wiederbewaldung aber nur sehr langsam voran, obwohl schon seit langem nicht mehr mit Schafen beweidet wird. Der Hainich hatte bereits eine Wildnisquote von 94 % erreicht, diese soll aber zugunsten der dauerhaften Offenhaltung wichtiger Lebensräume auf 90 % zurückgenommen werden. Das ist natürlich immer noch sehr viel, gemessen an den 75 % Minimalziel, dass viele Nationalparks auch offenbar gar nicht überschreiten wollen…
Herr Großmann hat die Vision, das der Nationalpark irgendwann von einer extensiv landwirtschaftlich genutzten Pufferzone aus überwiegendem Grünland umgeben ist. Stellenweise gibt es schon gute Ansätze dazu, woanders überwiegen aber kilometerweite, riesige Raps- oder Maisschläge.
Nachdem mir Manfred Großmann mögliche Übernachtungsmöglichkeiten im Nationalpark gezeigt hat, verabschieden wir uns an der Betteleiche, nicht ohne das er mir vorher Wandertipps für das Weberstedter Holz gegeben hätte, wo auf 600 ha seit 50 Jahren der Wald ohne direkte menschliche Einwirkung wächst wie er will.
Anderswo selten gewordene Vogelarten wie Turteltaube, Grauammer und Wendehals hört man hier sehr häufig, und während einer Pause lässt sich sogar der seltene Schillerfalter auf meiner Hose nieder.
Dann gelange ich ins Weberstedter Holz, den Traum jeden Waldliebhabers!
Hier ist der Nationalpark laut Herrn Großmann gar nicht mehr so weit von einem richtigen Urwald entfernt. Ein Vergleich: Im ukrainischen Urwald Uholka, dem größten verbliebenen Buchenurwald überhaupt, erreicht der Holzvorrat 800 Kubikmeter pro Hektar, die Totholzmenge liegt zwischen 50 und 150 Kubikmetern und es stehen im Schnitt 21 Bäume über 80 Zentimer Durchmesser auf einem Hektar.
Im Weberstedter Holz beträgt der Vorrat 650 Kubikmeter, es gibt 65 Kubikmeter Totholz und 11 Bäume über 80 Zentimeter Durchmesser.
Andere Parameter sind natürlich auch noch wichtig. Wie hoch ist der Kohlenstoffspeicher des Bodens? Wie sieht es mit der Vielfalt, gerade bei Pilzen und Insekten aus? Immerhin gibt es im Hainich 1600 Pilzarten und 500 Käfer, häufig Totholzspezialisten.
Wo liegen die Unterschiede zu den meisten Wirtschaftswäldern?
Im Weberstedter Holz spannt sich ein dichtes Kronendach fast über die gesamte Fläche. Natürlich sind auch hier einzelne Bäume abgestorben, aber insgesamt habe ich auf meiner Wanderung bisher noch nirgendwo nach wie vor so dichte Buchenkronen gesehen! Auch die alten Eschen wirken noch vital. Überhaupt hat der Nationalpark den Vorteil, das Eschentriebsterben beobachten zu können, ohne aus wirtschaftlichen Gründen zu vielleicht vorschnellen Eingriffen gezwungen zu sein. Der gesamte Wald ist sehr gut begehbar, obwohl überall Jungbäume stehen und darauf warten in Lücken vorzustoßen. Die Meere an Naturverjüngung über denen nur noch wenige Altbäume stehen, gibt es hier nicht. Fast überall steht oder liegt hier wirklich starkes Totholz, kein Vergleich zu den schwachen Kronenresten im Wirtschaftswald. Oft sieht man Pilze daran sprießen, kein Wunder bei der feuchten Sommerwitterung. An etlichen Stelllen gibt es kleine Lücken, wo mehrere Altbäume nebeneinander zusammen gebrochen sind. Diese geben dem Nachwuchs eine Chance, können aber auch wieder von den benachbarten Bäumen überwachsen werden. Fast überalll finden sich wirklich starke Baumindividuen neben deutlich dünneren Nachbarn. Zwar dominiert die Buche bei weitem, aber viele andere Baumarten von der Ulme über Ahorne zu Eschen und Linden haben hier ebenfalls ihren Platz.
Zwar ist es schon über 50 Jahre her, dass hier Bäume gefällt wurden, dennoch sieht man noch alte Baumstümpfe und Fahrspuren.
Dabei ist der Wald sehr still, nirgendwo sind Verkehrsgeräusche zu hören. Kostbare Waldeinsamkeit!
Überall gibt es etwas zu entdecken, seien es Baumpilze, ein Dachsbau oder eine Wildschweinsuhle.
Als es plötzlich ziemlich dunkel wird, trete ich rasch den Rückweg an, wobei ich weglos durch den Wald haste. Unter einer abgebrochenen Baumkrone wird ein Wildschein hoch und bricht davon. Zweimal sehe ich ein Reh.
Dann beginnt es zu regnen. Zunächst halten die Baumrkronen das Wasser noch eine ganze Zeit zurück, schließlich beginnt der Gewitterguss mich aber doch ganz schön zu durchnässen, daher bin ich froh, als ich die Umweltbildungsstation erreiche, die Herr Großmann mir gezeigt hatte und wo ich mich unterstellen und später schlafen kann. Kurz zeigt sich wieder die Sonne, aber dann regnet es doch weiter. Aber ich sitze ja im Trockenen und schreibe diese Zeilen…