17.06.2021 Tag 100 Katastrophengebiet am Rennsteig
Beim Frühstück sitzen tatsächlich ausser mir noch drei andere Wanderer, der Rennsteig scheint beliebt zu sein. Es ist schon nach 8, als ich dann in die bereits heiße Sonne starte. Bald stoße ich wieder auf den ehemaligen Grenzstreifen, das „Grüne Band“ und folge ein Stück dem gepflasterten Kolonnenweg. Stellenweise wird das Gelände offen gehalten, anderenorts hat sich die Sukzession eingestellt. Insgesamt ein bestimmt für viele Arten interessanter Biotopverbund. Brennesgrün mit seinen dunklen Schieferdächern ist ein hübsches, thüringisches Dorf. Liebevoll gemachte Schilder weisen auf den Rennsteig hin. Bald bin ich wieder im alten Fichtenwald, der da und dort mit Buchen, aber auch einigen Weißtannen unterpflanzt wurde. Leider sind das aber immer nur punktuelle, insgesamt eher kleinflächige Waldumbaumaßnahmen, wie ich heute noch später feststellen sollte. Ein interessanter Pfad informiert über alte Waldnutzungsformen. Krass, dass es hier um 1500 offenbar noch keine Fichten gegeben hat, und die Tanne im Wald die wichtigste Baumart war. Mittags gönne ich mir mal wieder eine 1 Liter Eisschale in Steinbach, bei dem heißen Wetter genau das Richtige. Als ich vor dem Ort eine Pause gemacht hatte, nahm ein alter, fast blinder Mann ein Video mit mir auf. Er dreht bereits, als ich von meinem Projekt erzähle, mit dieser Art Wandervideo hat er bestimmt nicht gerechnet. Der Rennsteig führt lange durch den Ort und dann an einer vielbefahrenen Straße entlang. Zum Glück gibt es eine Alternative! Hier tauchen dann auch die ersten Borkenkäferkahlflächen auf, und braunes Bohrmehl verrät den ersten massiven Frischbefall, den ich auf dieser Tour feststelle. Oft sind angrenzend an Freiflächen, viele Bäume frisch ausgezeichnet. Das sollte man sehr gewissenhaft machen, und nicht auf Verdacht viele Bäume fällen lassen. Offenbar läuft das hier gut!
Hinter Spechtsbrunn gelange ich dann in ein richtiges Katastrophengebiet, so schlimm, wie ich es seit Nordrhein- Westfalen nicht mehr gesehen habe. Ganze Hänge wurden kahl geschlagen. Unfassbar dicht ist das Netz der Harvesterspuren, was man gut vom Gegenhang erkennen kann. Nirgendwo gibt es nur einen Hauch von jungen Buchen. Der Jahrzehnte lang nicht konsequent betriebene Waldumbau rächt sich jetzt bitter. Ich bin schockiert und entsetzt von den Bildern. Fast hatte ich Sauer- und Siegerland schon verdrängt, aber hier bin ich mit Wucht zurück in das vom Klimawandel verursachte Waldsterben gelangt. Nirgendwo wurde bisher auf den Riesenfreiflächen gepflanzt. Kein Wunder, selbst ein paar kümmerliche Buchen müssen hier offenbar vor dem Rotwild in Wuchshüllen versteckt werden. Wenn man nicht will, dass all diese Flächen in der nächsten Generation wieder reine Fichte werden, die dann vielleicht schon nach 30 Jahren abstirbt, sollte man unbeding jetzt truppweise Mischbaumarten einbringen oder zumindest einen Birkenvorwald begründen, der einem die notwendige Zeit für den Waldumbau gibt. Alles einfach laufen zu lassen, wäre fatal!
Ich brauche noch Wasser für mein Nachtlager und verlasse den Rennsteig abwärts und finde die Quelle an der Straße die in meiner Karten app eingezichnet ist. Ein Stück oberhalb schlage ich in einem alten Fichtenwald mein Freiluftcamp auf. Wie lange wird es solche Wälder hier noch geben?
Halboffene Landschaft am ehemaligen Grenzstreifen
Zaghafte Tannenwiedereinbürgerung
Noch gibt es am Rennsteig große, alte Fichtenwälder
Buchenvoranbau, genau su muss das sein!
Hier wurden rechtzeitig Buchen gepflanzt
Früher gab es hier keine Fichten…
Bohrmehl zeigt den Frischbefall
Nutzholzborkenkäfer gehen ins Holz, daher weißes Bohrmehl
Ganze Hänge sind kahl und zerfahren
Hier wandelt sich das Landschaftsbild
Wie lange gibt es hier noch alte Fichtenwälder?
Hallo Gerald,
ja da war ich auch geschockt. Ich habe so etwas noch nie gesehen… danke für deine Seite und deine Erklärungen!… und alles Gute noch für deine “Reise”
Nicole… die sich “das ist nur ein Wort” gemerkt hat (vom Rennsteig)
Liebe Nicole,
ja, das ist ein echtes Katastrophengebiet. Glücklicherweise sieht der Wald nicht überall so aus!
Deinen letzten Satz verstehe ich leider nicht.